Bote & Bock
Concertino, das "kleine Konzert" für Akkordeon und Streichquartett, entstand 1983 auf Anregung des Akkordeonisten Hugo Noth und ist Yuns erste Komposition für dieses Instrument. Zur Uraufführung im November 1983 schrieb Yuns Verleger und Freund Harald Kunz: Das Akkordeon wird "in Erinnerung an die ostasiatische Mundorgel eingesetzt. Dieses aus dem klassischen China stammende Instrument heißt dort Shêng, in Korea Ssaenghwang, in Japan Shô. Auf einem kürbisförmigen hölzernen Resonanzgefäß stecken meist 17 Bambuspfeifen verschiedener Länge und verschiedenen Durchmessers. In die Basis jeder Pfeife ist eine durchschlagende Metallzunge eingesetzt, die beim Blasen in Schwingung gebracht wird. Bis zu dreistimmiges Spiel ist möglich, Borduntöne und langgezogene Akkorde mit ornamentalen Verzierungen bestimmen den Charakter des Instruments. Das Akkordeon hat als Zungen-Instrument Verwandtschaft zur Ssaenghwang. – Isang Yun behandelt das Akkordeon in erster Linie akkordisch, wobei die Akkorde nicht starr gehalten, sondern vielfältig gebrochen werden, in ihrer Dichte und ihrem Umfang changierend sich verändern. Die Streicher ergänzen die Aktionen des Akkordeons meist komplementär; sie bilden gelegentlich einen Kontrast, gelegentlich bereiten sie eine neue Phase vor und schließen als Nachklang einen Abschnitt ab. Dieses Gegen- und Miteinander von Akkordeon und Streichquartett, Solo und Tutti, deutet Yun durch die Wahl des Titels Concertino an."
Concertino wirkt beim ersten Hören zweiteilig; der erste Teil geht aber in einen langsamen Mittelteil über, und in den zweiten Teil ist als "Suspension", als verlangsamende Aufhebung der Spannung kurz vor einem raschen Schluss, eine ruhige Passage eingesenkt. Das Werk kann demnach – auch dies eine Mehrdeutigkeit von Yuns Komponieren – sowohl als drei- wie auch fünfteiliger Verlauf charakterisiert werden.
Die motivische Keimzelle ist der vorwiegend aufwärts gerichtete Halbton sowie ein variables Intervall (Sekund, Terz, usf.) im Rhythmus lang – kurz – lang: der Erde verhaftet, weit schwingend und doch voller Sehnsucht nach einer besseren Welt. Aus diesem melodischen Modell ist zum Beispiel die Evokation des Streicherklangs am Beginn entwickelt. Das Akkordeon antwortet leise und fern: einerseits akkordisch, andererseits mit demselben Motiv in der Basslage. Die Streicher nehmen einen zweiten Anlauf; der Kontrast Akkordeon – Streicher ist zunächst noch intensiviert und mündet dann in ein erregtes Wettspiel. Ein kontrastierender Umschlag mit solistischem Engagement des Violoncellos bringt den meditativen Mittelteil; Aufbruch und Tanz dann im bewegten Schlussabschnitt. – Concertino ist Hugo Noth und dem Joachim-Quartett, den Interpreten der Uraufführung, gewidmet.
Walter-Wolfgang Sparrer
Stefan Hussong, accordion / Minguet Quartett
Wergo WER 6716 2