Bote & Bock
1951 schrieb Hugo Herrmann die Seraphische Musik – Ludus sopra antiphonae „In paradisum“, gleichsam ein Bekenntniswerk des gläubigen Katholiken, der es 1952 und 1954 für den SDR Stuttgart bzw. BR München aufnahm. Allen drei Sätzen liegt der gregorianische Gesang des „In paradisum“ zu Grunde, im zweiten Satz Evocation, dem dramatischen Höhepunkt des Triptychons, erscheint zudem das B-A-C-H-Motiv in verschiedensten Transpositionen, schließlich auch in seiner Originalgestalt. Fernab aller stilistischen Klassifizierungen offenbart sich eine Musik, die im Präambulum wie aus einer längst vorhandenen, indessen unhörbaren Bewegung zu entstehen scheint – eine archaische polyphone Architektur von erhabener Weite des Raums, die einmal mehr an Busonis Würdigung Die „Gotiker“ von Chicago gemahnt. Hugo Herrmann gestaltet in diesem Triptychon eine Klangwelt, die der Rasanz des Wiederaufbaus in Westdeutschland nach der Apokalypse 1945 ein radikales Innehalten, ein Meditieren in Harmonien entgegensetzt, die die tradierten Kategorien von Konstanz und Dissonanz transzendieren. Jähe Kontraste der Dynamik und Klangregister prägen die sich stets zu neuen ekstatischen, geradezu bedrohlichen Ausbrüchen steigernde Evocation, die schließlich in leisesten, düsteren Farben erlischt.
Pastorale in paradiso greift auf Bewegungsmodelle des Präambulum zurück, verwandelt diese jedoch zu ritualhaft perpetuierenden Ostinati, zu denen der eigentliche Cantus firmus gleichzeitig in unterschiedlichen Geschwindigkeiten hinzutritt: So entwickelt sich ein magisches, gleichsam minimalistisches Kontinuum, das erstaunliche harmonische Konstellationen entstehen lässt. Wie die vorangehenden beiden Sätze, so erstirbt auch das Pastorale in paradiso im explizit bezeichneten morendo. Als höchst individuelles klingendes Zeugnis eines bekennenden Katholiken reiht sich die Seraphische Musik in eine Tradition religiös inspirierter Klavierwerke, die von Liszt zu Messiaen führt, die zugleich rückblickend Eindrücke der Alten und Neuen Welt zu einer faszinierenden Synthese verbindet.
Kolja Lessing
Kolja Lessing, violin / Andreas Kersten, piano
eda 046