Dialog mit Haydn
Dialogue with Haydn (1983)4(II,IV=picc).4.4(II=Eb).4(II=dbn)-5.3.3.1-timp(2).perc(3):marimba/
glsp/SD/BD/4bongos/4susp.cym/cyms/4tom-t/4tpl.bl/2wdbl/tgl/tamb/cast/
ratchet/whip/2tam-t/maracas/guiro/2pairs of ant.cym-harp-2pft-
strings(24.0.12.9.6)
Abbreviations (PDF)
Bote & Bock
... das Orchester ist in drei Gruppen aufgeteilt, welche verschieden eingestimmt sind, wobei die Abweichung des syntotischen Kommas 80:81 eine entscheidende Rolle spielt; und Haydns wunderbares Paukenschlag-Andante-Thema liefert Dreiklänge und Septakkorde in Reinkultur, dazu Tonleitern und Figuren im Lauf seiner Variationen. Außerdem liefert es gleich im Keim noch ein wesentliches Requisit der klassischen Tonsprache mit, welches dann auch mein Stück von Anfang bis Ende durchzieht: die Tonrepetition.
Dem Haydn-Thema wird nun eine kurze Sturktur – zweifelsfrei 20. Jahrhundert! – konfrontiert: sie kreist in Tonhöhe und Rhythmus um den Tritonuswert (1: v2).
Und nun beginnt ein Dialog, wobei die Grundelemente vertauscht, verdreht, verwechselt, überlagert, teilweise zerstört oder unkenntlich erscheinen und immer wieder neue Bastard-Formen hervorbringen.
Ich habe mit Genuß und Vergnügen viele Seiten solcher surrealistisch anmutender Kreuzungen notiert, aus diesem Fundus etwa ein Drittel für den Satz ausgewählt und in der gleichen Schnitt-Technik montiert wie ich sie im Hölderlin-Quartett entwickelte. Obwohl die Großform auf diese Weise etwas Variationshaft-Gereihtes bekam, läßt sich durch die Anordnung der vielen (ganz verschieden langen) Fetzen doch auch andeutungsweise eine Sonatenform herauslesen. Transparanz durch die Überblendung von gegensätzlichen Schichten: das ist ja schon seit Jahren... mein Weg in der Komposition; ich suche nach dem unbekannten Dritten, das auf diese Art entsteht. Reihungsform und Entwicklungsform heben sich durch Montage gegenseitig auf, ebenso wie sich die "zentripetalen" (tonal-metrischen) und die "zentrifugalen" (atonal-metrischen) Tendenzen in der Textur zu einem seltsamen Schwebezustand neutralisieren. Genauso geht es mit den Affekten: lasse ich extrem gegensätzliche Affekte gleichzeitig erscheinen, heben sie sich auf, ohne zu verschwinden: sie werden ihres subjektiven Charakters entkleidet. So entkomme ich mit einem Salto mortale dem Dilemma heutigen Komponierens: entweder heroisch die abgelebte Tradition der Avantgarde mit ihrem unsere Verstrickung in das technologische Denken spiegelnden Rationalismus weiterzuführen – oder aber, auf der Suche nach der verlorenen Wärme und Unmittelbarkeit unserer Kunst, zurückgesaugt zu werden in den Abgrund des Subjektivismus, alles verspielend, was das 20. Jahrhundert zu dessen Überwachsung gefunden hat.