4(I-III=picc,IV=afl).3(III=corA).3(III=Ebcl).3(III=dbn)-4.4.4.1-perc(6):timp/5tom-t/bongos/tamb/SD/BD/cyms/susp.cyms/tam-t/t.bells/glsp/xyl-bgtr-harp-pft-str
Abbreviations (PDF)
Sikorski
Immer wieder greift Gija Kantscheli mit Leidenschaft auf die große sinfonische Form mit üppiger Orchesterbesetzung zurück. Kammermusikalische Kompositionen traten erst nach seiner Übersiedlung in den Westen Anfang der 90er Jahre zaghaft in sein Blickfeld. Bis dahin hatte er fast ausschließlich Sinfonien geschrieben — großbesetzte zumeist, fast immer mit 4 Flöten, 4 Trompeten, 4 Posaunen, 6-8 Schlagzeugern, großem Streicherapparat etc. Seit der 7. Sinfonie aus dem Jahre 1986, die den Untertitel ‚Epilog‘ trägt (womit der Komponist damals zu verdeutlichen suchte, daß diese Werkgattung für ihn nunmehr abgeschlossen sei), waren es bei Kantscheli auch weiterhin stets die mächtigen Klanggemälde (ob mit oder ohne Solisten) - z.B. ‚Lament‘ für Violine, Frauenstimme und Orchester oder ‚Trauerfarbenes Land‘ für großes Orchester - die den besonderen Bekenntnischarakter und idealistischen Ansatz der Gattung Sinfonie verkörperten, ohne explizit so genannt zu sein. Jedes Werk freilich bedurfte nun eines individuellen Titels. Doch der persönliche Lebensweg Kantschelis, der 1991 mit seiner Familie in den Westen zog, um sein Glück zu machen, seither aber zusammen mit seinen Landsleuten in Georgien am Schicksal seiner von Bürgerkrieg und Ressourcenknappheit geschüttelten Heimat unermesslich leidet, gab ihm schier unerschöpfliche Stichworte an die Hand. So sprechen aus vielen Titelformulierungen Trauer, Resignation, Melancholie oder Nostalgie. Andere Werktitel wiederum verwenden Worte aus seiner georgischen Muttersprache (Simi, Diplipito, Sio).
Auch das Auftragswerk der INTERNATIONALEN MUSIKFESTWOCHEN LUZERN 1999 bezeichnete Gija Kantscheli mit einem georgischen Wort: Rokwa. Er erläutert es wie folgt: „Meines Erachtens drückt Rokwa den seelischen Zustand eines Menschen aus, der sich in außergewöhnlicher Verwirrung befindet und dabei ständig bereit ist, aufgestaute Energie aus sich herauszulassen, der aber um den Preis ungeheurer Anstrengungen versucht, äußerste Beherrschung zu bewahren." Nach Aussage des Komponisten beziehen sich die von ihm gewählten Werktitel unmittelbar auf den jeweiligen Charakter der Musik. Unschwer lässt sich dies auch bei Rokwa nachvollziehen, das mit ca. 40 Minuten Gesamtdauer zu den umfangreichsten Werken in Kantschelis Schaffen zählt.
"Rokwa" ist bei langsamem Grundtempo auf Pianissimo-Basis angelegt. Die so gestaute Energie wird an drei Stellen im Verlauf des einsätzigen Werkes von längeren machtvollen Klangeruptionen unterbrochen - deren letzte gegen Ende den dynamischen und dramaturgischen Höhepunkt der Komposition bildet. Konventionelle Themen als Auslöser für variative Prozesse, formelle Durchführungen o.ä. gibt es bei Kantscheli nicht, stattdessen Motive, die wie Versatzstücke gebraucht werden und eher Signal- oder Mottofunktion haben. Von besonderer Bedeutung erweist sich das Anfangsmotiv: ein gebrochener Dreiklang mit hinzugefügter kleiner Sext, vorgetragen von Altflöte, Klarinetten und Harfe, der später dann am Aufbau der großen Schlusskulmination wesentlich beteiligt ist. Auffällig - nicht nur in Rokwa, sondern auch in vielen anderen Kantscheli-Werken - sind ferner Einzelton- und Cluster-Repetitionen sowie vibrierende Triller und wild auffahrende 32tel-Figuren, oft in der Kombination Holzbläser und Streicher, in erregten Fortissimo-Passagen. Vorbereitet von irisierenden Violinflageoletts in Begleitung von unbeschwert-heiteren Melodiefloskeln in Glockenspiel und Harfe klingt das Werk schließlich unisono mit einem lauten Schlag auf dem Ton A aus - Erlösung oder Erschöpfung verheißend?