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Sikorski

Programme Note

„In Search of Lost Time“ für Sopran, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier auf eigene Verse entstand Anfang 1999 für das New Yorker Ensemble „Continuum“ und wurde von diesem auf einer Gastspielreise am 23. April 1999 im dänischen Århus beim NUMUS-Festival uraufgeführt. Für die Musikfestwochen Luzern und das Collegium Novum Zürich erweiterte die Komponistin die Besetzung auf 8 Instrumente: Flöte, Oboe, Klarinette, Harfe, Streichquartett.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Ein Stern fiel herab tief in sich hinein
und wurde dein Schicksal.
Er zerschnitt die Linie der Hand
und drehte sich um:
Mit dem geliebten Antlitz?
Mit dem Geflecht der Liebesereignisse?
Mit sternengesichtiger Blume fand er Fortsetzung
im Geheimnis der Geburt eines Kindes,
erneut einen Kreis beschreibend in unerfüllbaren Wünschen.
Kehrte zurück zum Ende aller Anfänge.
Und abermals – zum wievielten Male schon!
Augenblicklich aufgeflammt – bezeichneten sie einen Traum,
um wieder mit kaltem Schimmern
am unergründlichen Himmel aufzugehen.
So wandern die menschlichen Seelen umher
als Myriaden von Sternen in den Kreisen des Weltalls,
getrieben von der Sehnsucht nach ziellosen Bewegungen!
In schöner, absurder Hoffnung.

(Frangis Ali-Sade; wörtliche Übersetzung Ulrike Patow)

Von Marcel Proust entlehnt Frangis Ali-Sade nur den Titel für ihre Komposition, womit sie andeuten will, dass es in diesem Stück um eine Reise durch die Zeit und das Universum geht, um etwas Kosmisches, um den Kosmos der Liebe. „Mehr noch als bei Proust fühle ich mich in der Dichtung García Lorcas zuhause“, sagt Ali-Sade. In ihr werden die Liebe und die damit verbundenen Gefühle in allen ihren Er-scheinungsformen beschrieben. García Lorca vermag es wie kein anderer, die höchsten Gefühlsmomente des menschlichen Lebens so rein und treffend aus-zudrücken. Dazu gehören auch Trauer und Klage über die Vergänglichkeit der Zeit, des Lebens, des Individuums und – besonders heutzutage – der menschlichen Empfindungen und Gefühle. Proust gelingt es, durch die Kraft der Erinnerung die verlorene Zeit wiederzufinden: „Sie wird, zum Kunstwerk gestaltet, verewigt“. Auch zu Hermann Hesses Visionen in seinem „Glasperlenspiel“ verspürt die Komponistin eine geistige Nähe. Bei Hesse geht es nicht nur um Vergangenheit und Gegenwart in einer utopischen Zukunft, um die Alternative zwischen Leben und Geist, um These und Antithese, sondern auch um (europäische) Musikpflege und (morgenländische) Meditationspraxis und darum, dass das „Glasperlenspiel ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten unserer Kultur“ ist.

Musik des Weltalls und Musik der Meister
Sind wir bereit in Ehrfurcht anzuhören,
Zu reiner Feier die verehrten Geister
Begnadeter Zeiten zu beschwören.

Wir lassen vom Geheimnis uns erheben
Der magischen Formelschrift, in deren Bann
Das Uferlos, Stürmende, das Leben,
Zu klaren Gleichnissen gerann.

Sternbildern gleich ertönen sie kristallen,
In ihrem Dienst ward unserm Leben Sinn,
Und keiner kann aus ihren Kreisen fallen,
Als nach der heiligen Mitte hin.

(„Das Glasperlenspiel“ aus dem Kapitel „Josef Knechts hinterlassene Schriften.
Die Gedichte des Schülers und Studenten)

In ihrer Komposition greift Frangis Ali-Sade – entsprechend der kosmisch-kosmopoli-tischen, universellen Werk-Idee – auf musikalische Stilmittel der westeuropäischen Moderne zurück und verzichtet nahezu gänzlich auf Orientalismen. Im ersten Teil sind serielle Techniken – wenn auch nicht streng und konsequent angewandt – unübersehbar. Die lyrischen Phrasen der Sopranstimme bestehen jeweils aus dem Tonmaterial einer 10-tönigen Skala; in den Instrumenten sind es 11- und 12-tönige Skalen, wobei z.B. eine der Reihen streng symmetrisch aufgebaut ist. Der zweite Teil („Mit sternengesichtiger Blume...“) hat einen ganz anderen Charakter: Er ist tänzerisch, graziös, unbeschwert; den Spitzentönen sind die Worte Blume, Kind, Wunsch unterlegt. Den Übergang zum dritten Teil (direkt nach der Zeile „zurück zum Ende aller Anfänge“) bildet das Eingangsmotiv, welches auch zum zweiten Teil überleitet. Gewissermaßen als retardierendes Moment wird vor dem emotionalen Höhepunkt und letzten Teil des Werkes noch einmal in leicht veränderter Form der tänzerische Abschnitt („Mit sternengesichtiger Blume...“) eingeschoben. Eine kurze Passage über die Unerbittlichkeit und Unabänderlichkeit, mit der sich das Geschehen, der Wechsel von Leben und Tod, wiederholen („Abermals, abermals ... wieder und wieder...“) eröffnet den Höhepunkt und Schlussteil. Hier charakterisiert Ali-Sade mit den üblichen Mitteln der Klangfarbenmalerei (Cluster, glissandi, tremolo, freie Flageolett-Girlanden, geflüsterte Worte) den Himmel und das Leuchten der Sterne – bevor die Komposition mit dem Eingangsmotiv ausklingt oder wieder von vorne beginnen könnte... Absurd ist zwar die Hoffnung, das Verlorene zurück-zugewinnen, aber tröstlich und schön die Vorstellung vom ewigen Kreisen der Seelen-Sterne im Universum.
(Ulrike Patow)

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