Sikorski
„Das Stück wurde 1966 geschrieben und seitdem einige Male vom Borodin-Quartett aufgeführt. Ich arbeitete daran (mit Unterbrechungen) anderthalb Jahre. Währenddessen hat sich das ursprüngliche Konzept vollständig geändert. Ich hatte einen athematischen ersten Satz (ein Glissando-Chaos mit kurz auftauchenden Mikromotiven) zu schreiben, einen Scheinkanon (mit variablen Mikromotiven) und eine ebenfalls athematische aleatorische Scheinfuga. Als aber zuerst der zweite Satz fertig war (der wie geplant ausgeführt wurde), sah ich ein, dass diese Schreibweise solche Kontraste nicht zulässt. Die Scheinimprovisation des Kanons würde dann aus dem Rahmen fallen und einen Formbruch bedeuten. Aber der Kanon war schon da. Und da musste sich auch alles noch zu Schreibende auf ihn ausrichten.
Es wurden drei Sätze (Sonata, Canon, Cadenza), die viel freier gestaltet sind als die angegebenen Formen. Die Sonate hat keine Reprise. Man könnte den Anfang des zweiten Satzes, der ja eine Version des Hauptthemas ist, zugleich als dessen Reprise betrachten. Oder die Kulmination des dritten Satzes, wo ein Reprisenversuch unternommen wird, der aber an dem folgenden quasi aleatorischen Durchbruch scheitert. Oder schließlich auch die Coda des Finales, wo noch eine dritte Variante des Hauptthemas des ersten Satzes zu hören ist.
Der zweite Satz, der Kanon, ist eigentlich keiner. Da werden von allen Instrumenten nacheinander thematische Quasiimprovisationen vorgeführt, die von frei variierenden Echos begleitet werden. Im Laufe des Satzes werden diese ‚schattierenden‘ Imitationen immer freier, was in der Kulmination zu einer völlig polyphonen Selbständigkeit der Stimmen führt. Der dritte Satz ist eine Kollektivkadenz, wo das Quartett als ein einziges homogenes Instrument behandelt wird. Im Laufe einer dynamischen Steigerung spaltet es sich wieder in ein Ensemble aus vier selbständigen Interpreten, was sofort zu einer Kulminationskrise weitergeführt wird: hier entlädt sich sozusagen die im Laufe der Steigerungen aufgestaute dynamische Energie in einer scheinaleatorischen Episode. Obwohl alles genau notiert ist, entsteht der Eindruck einer aleatorisch bewirkten Kommunikationsstörung, als ob jeder drauflos spielt, ohne die anderen zu beachten. Dies wurde von mir als der Höhepunkt des Stücks angesehen.“ (Alfred Schnittke)