Richard Strauss
Eine Einführung in die Musik Richard Strauss’
von David Nice
In seiner Jugend mag er durchaus "Richard der Dritte" gewesen sein – Hans von Bülow verlieh ihm den Titel, da es nach Richard Wagner keinen "Zweiten" geben konnte –, doch Richard Strauss war dazu bestimmt, ein Vorkämpfer und kein Gefolgsmann zu werden. Nur ein Pionier konnte durch die schier schwindelerregende Macht einer einzigen Komposition ein Genie der jüngeren Generation anregen, Komponist zu werden. Das nämlich war bei Bartók der Fall, nachdem er 1902 Also sprach Zarathustra gehört hatte. Strauss’ Einfluß bleibt weitreichend; anhand des technischen und expressiven Reichtums seiner zwei radikalsten Opern Salome und Elektra gibt es für junge Komponisten auch heute noch viel zu lernen.
Manchen Werken der Musikgeschichte zufolge ist Strauss nach dem Schock dieser beiden explosiven Meisterwerke im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts "rückschrittlich" geworden. Dabei hatte lediglich die Macht der Umstände den Komponisten bewogen, im Anschluß an Salome von einer Komödie abzusehen. Hugo von Hofmannsthal, in dem Strauss schnell seinen idealen Textdichter erkannte, beharrte darauf, daß ihre erste gemeinsame Oper auf seiner Bearbeitung von Sophokles’ Elektra beruhen müsse. Erst drei Jahre später war Strauss in der Lage, sich dem Rosenkavalier zuzuwenden und ohne stilistische Kompromisse den komödiantisch-lyrischen Genius zu präsentieren, der nach Aussage seines Freundes und Kollegen Romain Rolland die Essenz seiner Persönlichkeit war. Die meisten Pfade, die Strauss beschritt, führten zum ergiebigen schöpferischen Quell des Rosenkavalier und von ihm weg; so hatte Rolland unter der scheinbaren Erhabenheit der Tondichtung Ein Heldenleben bereits den wahren bayerischen Humoristen ausgemacht und das tiefgründige Vergnügen ihrer unglaublich entzückenden Nachfolgerin besungen, der Symphonia Domestica.
Diese strahlende Vitalität ist außerdem in den späteren Opern verankert, so psychologisch komplex sie auch sein mögen. Das gilt insbesondere für die autobiographische häusliche Komödie Intermezzo, für die nach wie vor unterbewerteten Mythologien der Daphne und der Liebe der Danae sowie für Capriccio, das zunehmend populäre Postskriptum einer mit dem Ausbalancieren der gegensätzlichen Ansprüche von Text und Musik befassten Opernlaufbahn. Es fällt schwer, zu glauben, daß die drei letztgenannten in finsterer Zeit entstanden sind, aber Strauss besaß nun einmal die außergewöhnliche Fähigkeit, sich zielbewußt auf seine musikalische Innenwelt zu konzentrieren. Auf den Wahnsinn um ihn herum antwortete er mit einer einzelnen verblüffenden Reaktion in Gestalt der monumentalen Metamorphosen für dreiundzwanzig Solostreicher, ehe er sich auf die reinen Instrumentalformen besann, die er in seiner sorglosen Münchner Jugend vorgezogen hatte; und mit den Vier letzten Liedern schuf er genau jenen stillen Ausklang, den er in vielen seiner Opern und Tondichtungen so geschickt inszeniert hatte.
Es geschah gegen Ende seines Lebens, daß Strauss sich gegenüber Orchestermusikern beiläufig als erstklassiger Komponist zweiter Güte bezeichnete. Hin und wieder war er es vielleicht auch – und ohne Scham, denn bis auf einige der ganz Großen wissen alle kreativen Künstler, was es heißt, Routineaufträge zu erledigen, während wichtige Projekte in der Schwebe bleiben. Aber seine musikalische Integrität setzte sich immer wieder durch. Anders als viele Komponisten der zweiten Reihe, die sich genötigt fühlten, ihre Identität zu wechseln, um mit der Zeit zu gehen, blieb er der Jahrhundertwende, dem Zeitraum, in dem er zur Reife gelangt war, im wesentlichen treu; und anders als eine weitere Art minderer Komponisten, die damit zufrieden sind, alte Formeln zu repetieren, ließ er sein Schönheitsempfinden nie versteinern – keine geringe Leistung in Anbetracht der Umwälzungen, die er durchlebte. Die Gefühlsregungen, auf die er so stolz war, mögen manchmal in Gefühlsseligkeit umschlagen, doch in ihren besten Ausprägungen, gepaart mit einer strahlenden Klangpalette und einem stetigen Fluß melodischer Inspiration, reicht seine Musik ans Profunde heran; der Stil repräsentiert gewiß den Menschen.
David Nice, 1997
(Dozent, Rundfunkjournalist sowie Musikjournalist für Gramophone und BBC Music Magazine; der Autor von Kurzstudien über Richard Strauss, Elgar, Tschaikowski, und Prokofjew.)