Boris Liatoshinsky
d. 15 April 1968, Kiew
Boris Ljatoschinski wurde am 3. Januar 1895 im ukrainischen Zhytomyr geboren. Seine Eltern waren beide Lehrer und ließen den Sohn bereits früh das Klavier- und Violinspiel erlernen. Im Alter von 15 Jahren komponierte er für befreundete Musikerinnen und Musiker erste Werke, begann nach seinem Schulabschluss aber zunächst ein Jurastudium in Kiew. Dort nahm er Kontakt zu Reinhold Glière auf, bei dem auch der vier Jahre ältere Sergej Prokofjew Komposition studiert hat, und wechselte ans Konservatorium Kiew. Seine Musik war zunächst von Peter I. Tschaikowsky und der Spätromantik in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Alexander Borodin und Alexander Skrjabin) beeinflusst. 1935 wurde der in seiner Heimat hoch anerkannte Ljatoschinski am Konservatorium Kiew Professor für Komposition. Parallel dazu lehrte er bis in die frühen 1940er Jahre hinein am Moskauer Konservatorium. Zu seinen Schülern zählten u. a. Jevgeni Stankovich, Valentin Silwestrow und Leonid Hrabowski. Für sein Schaffen erhielt Ljatoschinski zahlreiche Auszeichnungen, 1946 und 1952 auch jeweils Staatspreise der Sowjetunion. Von 1956 bis zu seinem Tod am 15. April 1968 war er im Sowjetischen Komponistenverband in leitender Funktion tätig.
Ljatoschinski schrieb fünf Symphonien. Schon 1917 begann er mit der Arbeit an seiner 1. Symphonie op. 2, deren ersten Satz er noch vor der Vollendung des Werkes als „Lyrisches Poem“ zur Uraufführung brachte. Die 2. Symphonie op. 26 stammt aus den Jahren 1935/36, einer Zeit, in der der Komponist bereits in der Kritik der sowjetischen Kulturideologen stand. Er hatte sich einen Ruf als Schöpfer pessimistischer, morbider Werke geschaffen, und man warf ihm vor, dass seine 2. Symphonie zu modern sei und „ein chaotisches, düsteres Bild vom sowjetischen Leben“ zeichne.
Boris Ljatoschinski entfernte sich daraufhin wieder von seiner avantgardistischen musikalischen Sprache und fand in den Jahren des Zweiten Weltkriegs zu einem Stil, „der Melodik in romantischer, liedhafter Färbung einer polyphonen Verarbeitung unterzog und dabei dunkle Klangpaletten bevorzugte, was atonale Passagen keineswegs ausschloss.“ (Volker Tarnow in einer Sendung über Boris Ljatoschinski im Deutschlandfunk, 2022).
In dieser Haltung machte er sich nach dem Krieg an die Komposition seiner 3. Symphonie op. 50, die historisch und stilistisch bis heute eine zentrale Rolle in der Musikgeschichte der Ukraine spielen sollte. Das ebenso düster wie dramatisch anmutende Werk, das den Untertitel „Der Friede wird den Krieg besiegen“ trägt, entstand noch zu Lebzeiten Stalins und kam am 23. Oktober 1951 mit dem Orchester der Kiewer Philharmonie unter der Leitung von Natan Rakhlin im Rahmen eines Konzerts des Ukrainischen Komponistenverbands zur Uraufführung. Weil man dem Komponisten danach vorgeworfen hatte, das Kriegsthema „nicht als sowjetischer Friedensstifter, sondern als bürgerlicher Pazifist" interpretiert zu haben und es in seinem Werk an triumphalen Ausbrüchen und einem positiv ausgerichteten Finale fehle, arbeitete Ljatoschinski den letzten Satz um. In dieser Neufassung wurde die 3. Symphonie vier Jahre später 1955 in Leningrad unter der Leitung von Jewgeni Mrawinski uraufgeführt. Hier waren die Reaktionen des Publikums euphorisch. Der Erfolg des Werkes war gewiss auch dadurch begründet, dass darin Motive der ukrainischen Nationalmusik geschickt verarbeitet wurden.
Boris Ljatoschinski starb am 15. April 1968 in Kiew und wurde dort auf dem Baikowe-Friedhof beerdigt.
Biographie kann kostenfrei in Programmheften mit dem folgenden Nachweis abgedruckt werden: Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Musikverlags Boosey & Hawkes/Sikorski