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Eine Einführung in die Musik Schwertsiks
von David Drew

Kurt Schwertsik, 1935 in Wien geboren, unternahm 1959 als erster österreichischer Komponist der jüngeren Generation die Pilgerfahrt nach Darmstadt und Köln, und zwar mit dem erklärten Ziel, bei Stockhausen zu studieren. Dreißig Jahre später strahlten seine Achtungsbezeigungen zum 60. Geburtstag Stockhausens und die ausdrücklich für dessen Unterhaltung gedachten "3 Sonaten und 2 Fugen" wie aus weiter Ferne kommend Dankbarkeit, Respekt und Zuneigung aus.

Die Erinnerungen an Köln und Darmstadt, die Schwertsik besonders am Herzen liegen (das bezeugen ergreifend seine 5 Naturstücke), betreffen seine Freundschaft mit Stockhausens englischem Schüler und Assistenten, dem Komponisten Cornelius Cardew. Ebenso prägend und in mancher Hinsicht ausschlaggebend waren seine Begegnungen mit John Cage. Die "Experimente" mit Dreiklangsharmonien in den Liebesträumen von 1962 sind Cages Musik zwar nichts schuldig – sie sind vielmehr bereits typisch Schwertsik – doch stellen sie einen ebenso klaren Bruch mit Darmstädter Orthodoxien dar wie die eher an Cage orientierten Zufallsoperationen, die Schwertsik auf Liszts eigene leidgeprüfte Liebesträume angewandt hat. Mit Sicherheit war es Cage, von dem aus Schwertsik anschließend den Weg zu Erik Satie zurückfand, und auf dem Weg über Satie begann er auch bald einen Chansonstil zu entwickeln, der Elemente der amerikanischen und europäischen Unterhaltungsmusik der 60er und 70er Jahre enthalten sollte.

Seit 1962 scheinen Schwertsiks Arbeiten jeglichem Heiligenschein zu trotzen. Gewiß kein "Oeuvre" im Sinne des 19. Jahrhunderts, gehen sie auf lokale, ja nachbarliche Verhältnisse in einer Weise ein, daß man einen früher als Bohemien bewunderten (oder belächelten) Komponisten vermutet, der jedoch zur Zeit in Europa ständig Gefahr läuft, wegen kultureller Land-Streicherei belangt zu werden. Schwertsik, in der Selbstverteidigung geübt, würde dergleichen Anschuldigungen bestimmt willkommen heißen und einen Pflichtverteidiger ablehnen. Auch auf Experten und Profi–Gutachter kann er leicht verzichten, solange er noch für die Ohren der vielen unterschiedlichen Nicht Profi–Hörer schreiben kann, die sich an seiner Musik erfreuen und sie schätzen.

Einige Bereiche seines Schaffens – beispielsweise der außerordentliche Jandl-Zyklus ich sein blumenbein – könnten den Vermerk "privat" tragen. Viele andere, einschließlich der verlorenen Wienbilder der Wiener Chronik 1848 und des Altenberg-Zyklus, der wiedergefundenen (oder erfundenen) Wienbilder des Artmann-und Nöstlinger-Zyklus und des Ubuesken Märchens vom Fanferlieschen Schönefüßchen, haben sich längst als allgemein zugänglich erwiesen. Mit der Zeit dürfte dies auch für die Zeitreise-Phantasien der Tag- und Nachtweisen, das Alphorn Konzert und Ein empfindsames Konzert gelten.

Die endgültige Herausforderung für Hörer im 21.Jahrhundert werden jedoch mit Sicherheit der Zyklus Irdische Klänge und dessen Nachfolger sein. In diesen in der Nachfolge Mahlers stehenden Liedern von der Erde und intergalaktischen Missionen wird Schwertsiks Orchester eins mit seinem innigen Empfinden für die Natur und seiner tiefen Sorge um die Zukunft der Umwelt. Was die Nachwelt davon halten wird – was "in aller Welt", könnte man sagen –, ist eine andere Frage; und zwar nicht nur für den Komponisten.

David Drew, 1996

Fragmente aus Tagebüchern, Berichten und Manifesten
von Kurt Schwertsik

Kühn und ohne Umschweife haben die Meister ihre Musik formuliert, und wir sind noch immer damit beschäftigt, in den Geist ihrer Werke einzudringen. Für jeden lebenden Tonsetzer sollte das Ermutigung und Ansporn sein, sich ohne Scheu das Eigene abzuverlangen. Dieses Eigene mag lächerlich einfach klingen oder übertrieben komplex, also nicht ausreichen, um neben den Meistern zu bestehen, und doch ist es die einzige Chance heranzureichen. Deshalb sagte ich: keine Scheu!

Unterhaltungsmuslk, usw., usw.
Zwei Einsichten sind für den Komponisten ernsten Bekenntnisses grundlegend.

1 Er ist nicht mehr alleiniger Hüter der heiligen Flamme und
2 Er sollte alles dransetzen, die brennenden Fragen zu erfassen und zu artikulieren.

Nun geht es auch nicht an zu sagen: "Siehe, so ist die Welt! Unsere Musik ist nur der Spiegel, den wir den Menschen vorhalten." Das ist zu wenig, erhebt sich nicht wirklich über das Niveau des Biertisches. Meiner Ansicht nach muss die Kunst nachweisen, dass es möglich ist, sich zu erheben, entschlossene Schritte zu tun und vielleicht sogar zu schweben.

Alphornkonzert
Nach langer Zeit rücksichtsloser Wissenschaftsgläubigkeit sucht unsere Kultur wieder alte Lebensformen zu verstehen, nicht um in eine scheinbar heile Welt zurückzukehren, sondern eher um die unserem Denken zugrunde liegenden Axiome zu überprüfen. Nur auf Naturtöne beschränkt, von deren einige nicht in unsere Tonleitern passen, verbindet uns das Alphorn mit den ältesten Schichten unserer Kultur. Der Versuch, dieses Instrument mit unserem Orchesterklang zu konfrontieren, macht dessen Fremdheit auch dort deutlich, wo der archaische Klang dem ästhetischen Empfinden unserer Zeit nahekommt.

11. Mai 1979
Ich kann den alltäglichen Klängen besser zuhören! Ich nehme eine grössere Vielfalt von lauten und leisen, einfachen und komplexen, natürlichen und künstlichen, wirklichen und eingebildeten Klängen wahr. Ich höre ihnen genauer zu und merke einen Reichtum an Veränderungen der Grund- und Obertöne. Auf diese Art wird der Alltag eine dauernde Ausstellung, ein dauerndes Konzert.

Uns genügen fürs alltägliche Leben die alltäglichen Beobachtungen. Aber gegen chronische Bewußtseinsverengung gibt’s keine und keine gegen Gefühllosigkeit und Totalschaden der Phantasie! Musik, die so tief aus unserer inneren Bilderwelt aufsteigt und so tief in sie eindringt, kann nicht harmlos sein! Sie gehört zu den geheimnisvollsten Ausdrucksmitteln unserer Situation hier auf der Erde.

Sommer 1983
Bevor ich mich als junger Mensch voll Begeisterung in all diese Verwirrungen stürzte, lebte ich in dem Wahn, in gelehrten Büchern Erwachsener die Antwort auf meine Fragen zu finden. Im Züricher Dadaismus fand ich dann viel wonach ich suchte: Ausgelassenheit, Respektlosigkeit vor aufgeklebten Bärten, Selbstironie durch Experiment. Heute weiss ich, dass ich im Grunde Künstler suchte, die Satie, Ives, Schwitters, Wittgenstein und Gandhi in einer Person sind. Ich suchte die Einheit von Leben und Werk, den Künstler dessen Arbeit nicht nur Teil der Arbeit ist. Deswegen bin ich auch froh, dass Cornelius Cardew mein Freund war, erschrocken aber ruhig ist er seinen Weg gegangen.

Komponieren...
...hat mit der Fähigkeit zu tun, Menschen zu bewegen. Die Frage, ob ein Komponist diese Kraft zum Guten oder zum Bösen nützt, ist nicht ganz nebensächlich.

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