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maybe no maybe yes
Die Musik von Mike Svoboda

„I saw myself sitting in the crotch of this fig tree, starving to death, just because I couldn't make up my mind which of the figs I would choose. I wanted each and every one of them, but choosing one meant losing all the rest, and, as I sat there, unable to decide, the figs began to wrinkle and go black, and, one by one, they plopped to the ground at my feet.” – Sylvia Plath, The Bell Jar (1963)

Dieses Zitat wählt Mike Svoboda, um die melancholische Stimmung seines Harfenduetts echo yes no (2019) zu grundieren. In gewisser Weise spiegelt es seine Situation als Musiker: Er will sich nicht nur für ein Musikgenre, nur für einen Musikberuf oder nur für eine Musizierhaltung entscheiden. Er begann mit Jazz, gelangte rasch in den Olymp der Neuen Musik, arbeitet mit Kindern, liebt Entertainment. Der wesentliche Unterschied zu Sylvia Plath: Choosing one means choosing all the rest!

Dies zeigt sich in seinem überreichen Œuvre, das, wie es in auftrumpfenden Komponistenbiographien ja gerne heißt, ein ausgesprochen weites Spektrum an Gattungen, Formen usw. umfasst: neben solistischen Werken, Kammermusik, Orchestermusik auch geistliche Musik, Musiktheater, Oper, Remixes etc. Doch es ist sehr unwahrscheinlich, dass Svoboda diese Kategorien in seinem Schaffen eine nach der anderen abgearbeitet hat. Vielmehr ist es so, dass er als Musiker seit Jahrzehnten auf selbstverständliche Weise weltweit in einem riesigen Netzwerk agiert und kommuniziert. In seinen Kompositionen manifestieren sich jeweils spezifische Arten des Agierens und Kommunizierens, weswegen die angesprochenen „Gattungen“ fast nie konventionell „bedient“ werden. Daher gibt es bisher auch keine Serien von Streichquartetten oder ähnlichem.

Mike Svoboda lässt sich sehr gerne auf ganz bestimmte, am besten ungewöhnliche Situationen ein. Zum Beispiel im Fall des erwähnten Harfenduetts echo yes no: Gefragt war eine neue Komposition für ein junges Harfenistinnen-Duo (das Basler Duo Aecstaly mit Alice Belugou und Estelle Costanzo), das in einer Kirche uraufgeführt werden sollte, wobei auch Stockhausens Komposition Freude auf dem Programm stand. Da Svoboda wenig am Verklären der eigenen glorreichen Vergangenheit liegt – immerhin hatte er 11 Jahre sehr erfolgreich mit Stockhausen zusammengearbeitet –, setzt er keinen affirmativen Nachklang. Vielmehr möchte er echo yes no unter dem Neigungswinkel eines „worry, don’t be happy“ verstanden wissen. Was in diesem Werk aber ganz klar bejaht wird, sind die Fähigkeiten und die Experimentierlust der beiden Uraufführungsinterpretinnen. No? Yes! Nachdem die Harfenklangfülle im ersten Teil der Komposition zunehmend verlöscht – zwischendurch geben die Harfenistinnen nur noch einen schwachen stimmlosen Vokallaut von sich –, öffnet sich mit Hilfe der Live Elektronik ein visionärer, fast psychedelischer Klangraum, was auch daran erinnert, dass Svoboda durch seinen Lehrer Ben Johnston ein Enkelschüler von Harry Partch ist.

Das hätte vielleicht auch Stockhausen gefallen (nicht zuletzt wegen der prominenten Ringmodulation). In echo yes no ist der Traditionsbezug wohl trotzdem als eher brüchig zu bezeichnen. In anderen Werken dominieren dagegen hedonistische, circensische, teilweise satirische Kommunikationsmodi in Bezug auf Musiken der Vergangenheit: Sei es in den fast frivolen Revuen Love Hurts – Carmen Remix (2003/2010) und 14 attempts to love Richard Wagner (2002), sei es in der Avantgarde-Orgie Studies to „Adorno (sex, drugs, and new music)“ von 2007. Ein Grundprinzip lautet dabei: Scheinbar unvereinbare Klangwelten in einen Zusammenhang bringen. Das entspricht einer Art musikalischen Urerfahrung Mike Svobodas, für den als Teenager die Musiken von Pierre Boulez und Ornette Coleman zum Verwechseln ähnlich, nämlich: faszinierend und elektrisierend geklungen hatten. Erst später lernte er, die Genres vernünftig zu unterscheiden. Im Saxophonkonzert Wittgenstein & Twombly (2017) geht es nicht zuletzt darum, ideologische Gegensätze wieder aufzulösen oder sie zumindest spielerisch in einen Schwebezustand zu bringen – der große konzertante Gestus kann sich entsprechend nie völlig etablieren, dazwischen kommen immer wieder vormusikalische Situationen, Nullrunden, in denen es gilt, sich neu zu orientieren, die richtige Sprache, den richtigen Ton erst einmal zu finden (so figuriert ein auskomponiertes Stimmen seitens des Orchesters quasi als Refrain); Situationen, die etwas ermöglichen, das im Abspulen musikalischer Routinen bisweilen enorm erschwert ist: das Staunen.

So bietet Svoboda seinem Basler philosophiebegeisterten, international extrem renommierten Saxophonkollegen Marcus Weiss auf differenzierte Art eine Bühne. Spielt auch der weltberühmte Posaunenvirtuose Mike Svoboda in seiner eigenen Musik eine Rolle? Die Antwort ist: Yes, und zwar gar nicht so selten. Dabei ist ziemlich interessant zu beobachten, wie Svoboda sich gewissermaßen selbst komponiert. In der großen Music for Trombone and Orchestra (2010) setzt er sich zeitweise durchaus effektvoll in Szene. Wichtiger aber als das grandiose Auftrumpfen sind die vielfältigen Wechselbeziehungen, die er als Solist mit den Orchestermusikern eingeht. Die Spiegelszene mit der Kontrabassklarinette ist absolut Marx Brothers-reif. Zwischendurch taucht er aber auch ab in eine Art Schattenwelt, wo mit kleinen, durchaus unsymphonischen Klangebern gespielt wird (mp3-Playern, Megaphonen). No: In dieser Music ist der Auftritt des Solisten nicht ohne den Abtritt zu haben, dazwischen ist er als kommunizierendes Wesen ins Klanggeschehen involviert. In Die Bücher der Zeiten (2016) nach einem imaginären Untergangsmythos des jungen Hölderlin passt die Posaune natürlich allein aufgrund der apokalyptischen Topik. Aber auch in dieser Kantate figuriert sie als Kommunikationsknotenpunkt zwischen den Sängerinnen und dem Schlagzeug, wobei der besungene Abgrund gerade in den unpathetischen, nahezu leeren Momenten besonders wirkungsvoll droht.

Svobodas Musik kann noch so sehr von Musizierlust getragen sein: Gleichzeitig gibt es eine deutliche Tendenz zum „ja, aber …“. Zu den vielen vitalen, aktionsreichen Klangformen kommen Momente des Innehaltens in einer resonanzarmen Gegenwelt, wo das geschäftige Tun, die bedeutsame Gestik hinterfragt, zurückgenommen, reflektiert werden kann. Eine Szene, die immer wieder vorkommt, ist ein in einem Kiesbottich auf der Stelle tretender Schlagzeuger. Recht gleichmütig trottet er zu den apokalyptischen Weissagungen in Die Bücher der Zeiten oder durch den wechselvollen Verlauf von Wittgenstein & Twombly. Im beinahe konzeptuellen Stück Cartesian Rainbow (2017) sinnt dieser Schlagzeuger im Kiesbett über Farbempfindungen nach, ohne zu einem eigentlichen Ergebnis zu gelangen. Wahrscheinlich weiß er: Noch viele Feigen gibt es zu pflücken.

Michael Kunkel © 2021

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