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Music Text
Scoring

1(=picc).1(=corA).1(=Ebcl).1(dbn)-1.1.1.0-perc(2)-harp-gtr-pft(=hpd)-strings(1.1.1.1.1)

Abbreviations (PDF)

Publisher

Boosey & Hawkes

Territory
This work is available from Boosey & Hawkes in der ganzen Welt.

Availability

Uraufführung
18/05/2005
Queen Elizabeth Hall, London
Anu Komsi, Piia Komsi, sop / Andrew Watts, cten / London Sinfonietta / George Benjamin
Composer's Notes

Der Titel ist Programm. Ich fand ihn in „Das Soprano-Project. De Iaculatione Tomatonis (in cantatricem)“, einer 1974 erstmals in England erschienenen Nonsense-Abhandlung des wunderbaren französischen Dichters polnisch-jüdischer Abstammung Georges Perec. Mit Perec und den Oulipisten (von ouvroir de littérature potentielle), jener Gruppe von post-dadaistischen Dichtern um Perec, Calvino und Queneau, verbindet mich die Lust am Sprachspiel, an Anagrammen, Palindromen und Akrostichen, wie ich sie auch in früheren Kompositionen als Textgrundlage verwendet habe.

Gedichte in Musik zu setzen, die konkrete Inhalte oder Gefühle transportieren, behagt mir nicht sonderlich. Musik und Literatur sind stark eigengesetzliche „Sprachen“ die sich in ihrer Verbindung nicht selten gegenseitig im Wege stehen. Der Vorteil der Kombinatorik experimenteller Lyrik ist in meinen Augen (und Ohren) nicht nur ihr Mangel an konkretem Sinn und „Botschaften“, sondern vor allem ihre Nähe zu kompositorischen Verfahrensweisen. Ein „boule de neige“ etwa (ein nach dem Schneeballprinzip kontinuierlich aus einer kleinen, „proto-semantischen“ Zelle anwachsender Text, der im Wachsen chamäleonartig seine Bedeutung variiert) ist in sich schon ein musikalischer Vorgang durch das „Auffächern“ von klanglichem Material im zeitlichen Verlauf. Was mich weiterhin mit diesen Wortkünstlern verbindet, ist die Selbstreferenzialität ihrer Sprachspiele, aber auch der Humor und die Ironie ihrer Kreationen. Außer dem „boule de neige“ (Nr. IV) von Harry Mathews verwende ich allerdings keine weiteren Texte von „Oulipisten“. Vier der acht Texte wurden von mir selbst während des Kompositionsprozesses entwickelt, Nr. II entstand in Anlehnung an eine Idee von Gertrude Stein, Nr. V ist eine ins Italienische übertragene Bearbeitung eines Gedichtes aus dem Phantasus-Zyklus (1898/99) des Berliner Dichters Arno Holz (der einige Avantgardismen des 20. Jahrhunderts vorausnahm), und Nr. VI beruht auf einem chinesischen Text aus der Tang Dynastie (7.-10. Jahrhundert), der allerdings weniger auf seiner semantischen als klanglichen Ebene Verwendung fand.

Cantatrix sopranica ist ein selbstreferenzielles Stück, und dies auf verschiedenen Ebenen. Zum einen geht es inhaltlich um das Singen selbst (vor allem in N. I, II, V und VIII), um die spezifischen Befindlichkeiten von Sängern, ihre Tricks und Ticks vom Einsingen bis zur Selbstdarstellung auf (und hinter) der Bühne. Es geht um musikalische Phänomene oder Prozesse, die in der Sprache reflektiert werden und umgekehrt (III und VII). Ein hybrider onomatopoetischer Einfall etwa wie „Cis n’est pas Ces“ hatte fatale Folgen für das musikalische Material, wie die Musiker bestätigen werden. Es geht aber auch um das Spiel mit musikalischen Sprachen der Vergangenheit, um Gesangs-„Techniken“, die zum Selbstzweck geraten, und um idiomatische Klischees nicht nur europäischer Musik (V und VI). Gesang und instrumentales Spiel interagieren, es kommt zu Rollenspiel und manchmal sogar Rollenwechsel zwischen Sängern und Musikern. Ich bemühe mich auch in diesem Stück um eine größtmögliche Symbiose von sprachlichen und klanglichen Prozessen, und hatte dabei die hoffentlich nicht unlautere Absicht, das Publikum nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu amüsieren. Das Stück ist nicht frei von musikalischen Eulenspiegeleien, die, wie man weiß, durchaus bedrohliche Züge annehmen können. In diesem Sinne sehe ich mich in einer Linie mit Rossini und Ligeti.

Unsuk Chin, April 2005

Abdruckrechte
Dieser Werkkommentar kann in Programmheften unter Nachweis der Autorin kostenlos abgedruckt werden

Programme Note

Mit Ligeti teilt Chin die Lust an der Parodie und Imitation, die Vorliebe für Imaginäres und Doppelbödiges, worauf auch der Titel ihres neuen Werks Cantatrix Sopranica verweist. Sie entlehnte ihn einer in den 1970er Jahren entstandenen Nonsense-Studie des Schriftstellers Georges Perec, der mit vorgeblich wissenschaftlichem Ernst einhundertsieben Sopranistinnen (der Gattung „Cantatrix Sopranica L.“) mit verfaulten Tomaten beschmeißen ließ, um anhand ihrer „Kreischreaktionen“ Aufschlüsse über das „tomatotopische Organisationsmuster“ von Sopranen zu gewinnen.

Chin beschreibt Cantatrix Sopranica als eine Art Studie: als eine „Erkundung des Gesangsakts“, ein „Singen über das Singen“. So entfalten die Sänger ganz verschiedene vokale Stile, von der Imitation des ‚Einsingens‘ im ersten Stück über eine Parodie des italienischen Belcanto (Con tutti i Fantasmi) bis hin zu typischen Ausdrucksformen und -gesten zeitgenössischer Musik, aber auch außereuropäischer Vokalmusik wie etwa des chinesischen Volksliedes. Es scheint nur konsequent, dass Chin den Gesangsstilen ganz unterschiedliche „Gesangstexte“ bzw. auch nur phonetisches Material ohne jede konkrete inhaltliche Bedeutung zuweist. So verwendet der erste, siebte und letzte Satz nur einzelne Laute, Silben oder Wortfragmente, die gleichsam als musikalische Elemente ‚hinzukomponiert‘ sind. Andernorts benutzt Chin bereits bestehende Texte. Etwa in Boule de Neige (Schneeball), das auf einem Gedicht des amerikanischen Lyrikers Harry Mathews gründet, der wie Perec dem Autorenkreis Oulipo angehörte und seine Gedichte äußeren formalen Zwängen, in diesem Fall der optischen Form einer Pyramide unterwarf. In Yue Guang – Clair de Lune, der Parodie eines chinesischen Volksliedes, greift Chin auf einen Text aus der Zeit der Tang-Dynastie zurück. Während die erste Strophe von der vom Mondlicht umhüllten Sehnsucht erzählt, besteht die zweite nur aus daraus abgeleiteten Wortspielen, einer Art Pseudo-Chinesisch. In anderen Sätzen bilden die Texte Beschreibungen dessen, was gerade musikalisch geschieht, so etwa in Cis n’est pas Ces, einem Spiel mit der Enharmonie. Cantatrix Sopranica gerät hier zu einem selbstbeschreibenden ‚Gesangsexperiment‘, das die Stimmen zuweilen an die Schwelle zu einem fast ‚instrumentalen‘ Musizieren führt. So im letzten Stück, wo Chin die Rollen imaginär vertauscht, sie die Sänger ihre Stimmen wie Instrumente behandeln lässt, während umgekehrt die Ensemblemusiker auf ihren Instrumenten zu ‚singen‘ beginnen

© Andreas Günther

Press Quotes

Cantatrix Sopranica wird Chins Ruhm als einer der einfallsreichsten Vertreterinnen einer neuen Musik, die zugleich farbig, geistreich und substantiell ist, sicher weiteren Glanz verleihen... Von der ersten Nummer, einer launisch-originellen, unbeschwert wohl-klingenden Glosse über das Einstimmen und Jaulen, bis zur letzten, die die Stimmen sowohl als Instrumente als auch als dramatische Charaktere behandelt, ist das Werk das reine Entzücken.“ (Keith Potter, The Independent, 20.05.2005)

„Wer eine Neue-Musik-Phobie hat, wird bei Frau Chin genesen... da klingt nichts fett oder übervoll, vielmehr seidenzart und schleierhell... Gewiß benötigt man keine introvertierten, sondern aktionsfreudige Künstler. die sich auch in den Extremlagen dieser theatralischen Kostbarkeiten ungeniert aufhalten. Die Damen und Herren Komsi und Cordier waren vortrefflich und mit der Gabe der total ernst tuenden Selbstironie ausgestattet, auch die Instrumentalisten der Musikfabrik hatten bei aller Meisterschaft ihres Handwerks oft Zeit für ein Lächeln. Stärkster Beifall.“ (Wolfram Goertz, Rheinische Post, 24.05.2005)

Subjects
Recommended Recording
cd_cover

Anu Komsi / Piia Komsi / David Cordier / musikFabrik / Stefan Asbury
Wergo WER 6851 2

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