Sikorski
„Der Titel entspringt dem Wunsch, aus der Enge des Alltags auszubrechen, der unweigerlich mit Risiko und Gefahr verbunden ist. Der Wunsch nach Flucht, nach dem Rausch der Bewegung, des Tanzes von ekstatischer Virtuosität.
Ein Seiltänzer ist auch eine Metapher für diesen Gegensatz: das Leben als Risiko und die Kunst als Flucht in eine andere Existenz. In diesem Stück ging es mir darum, die Voraussetzungen für das Spiel der Kontraste zu schaffen, bei dem der präzise Tanzrhythmus der Geige seine Einbindung in den bewegten Verlauf des Klavierparts überwindet.
Dies geschieht zum Beispiel durch die Verformung dieses Rhythmus durch das Spielen auf den Saiten des Klaviers mit einem Glasbecher; durch die allmähliche Verwandlung dieser transparenten harmonischen Klänge in ein aggressives Fortissimo auf den Basssaiten durch den gezackten Boden des Bechers; durch den bedrohlichen Klang dieses Rhythmus, wenn er vom Pianisten mit metallenen Fingerhüten gespielt wird, und schließlich - das Hauptereignis in der Form des Stücks - durch den Übergang des Pianisten von den Streichern zur Tastatur.
Alle Ereignisse werden von der Geigerin in einem ekstatischen Tanz überwunden, der sich schließlich bis in die oberen Lagen des Instruments zu tremolierenden Doppelharmonien steigert: Risiko, Überwindung, Flucht der Fantasie, Kunst, Tanz.
Der Seiltänzer“ wurde von der ‚Elizabeth Sprague Coolidge Foundation in der Library of Congress‘ in Auftrag gegeben.“
(Sofia Gubaidulina)
Gidon Kremer / KREMERata MUSICA / Boris Tevlin
BIS Records BIS-810