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Die Entfaltung des kompositorischen Werks von Maria Herz vollzieht sich binnen eines Jahrzehnts. Zwischen 1922 und 1932 erfährt ihre Kammer-, Orchester- und Klaviermusik auf Konzert-, Konservatorium- und Rundfunkpodien eine breite öffentliche Darstellung. Die Tages- und Fachpresse nimmt Notiz, zollt Respekt, bemüht sich um Einordnung und Wertung bei durchaus schwankendem, häufig ressentimentgeladenem Urteil. Vorurteilsfrei die Stimmen von Martin Friedland, seit 1926 Redakteur beim Kölner Tageblatt, Herbert Eimert, Mitarbeiter der Westdeutschen Funkstunde AG und die von Theodor W. Adorno. Grundsätzlich bescheinigen die führenden Musikkritiker der Zeit den Kompositionen von Maria Herz Eigenständigkeit und Noblesse. Ihre Aufmerksamkeit gilt dabei insbesondere den Vier kurzen Orchesterstücken op. 8, den Fünf Orchesterliedern nach Worten von Stefan George op. 7 sowie der Rundfunkmusik op. 9 für acht Instrumente. Letztere belegt ersichtlich den wachen Sinn der Komponistin für die medientechnischen Entwicklungen der Zeit und dem damit verbundenen neuen Bedarf, insofern die in den 1920er Jahren entstehenden Rundfunksender gerade in diesem op. 9 ein verlockendes Angebot gesehen haben. Bis zum gewaltsam herbeigeführten Ende der öffentlichen Wirksamkeit von Maria Herz und ihrem nachfolgenden Verstummen als Komponistin bleibt diese transparent gesetzte Ensemblemusik, die auch ein zeittypisches Saxophon vorsieht, in den Sendern präsent. Der Frankfurter Übertragung von op. 9 durch Mitglieder des Rundfunk-Symphonie-Orchesters unter Hans Rosbaud am 7.11.1930 ging ein Vortrag Adornos voraus, der fraglos den Höhepunkt der zeitgenössischen Herz-Rezeption markiert. Nach Umfang, Inhalt, Analysetiefe ist er bis heute nicht mehr respektive noch nicht wieder erreicht.

Geschuldet ist dies zunächst einer, nach der jüngsten Wiederentdeckung, weitgehend noch in den Anfängen stehenden Erschließung des Œuvres. Ein verlässliches Werkverzeichnis ist bisher ebenso Desiderat wie eine belastbare Druckausgabe des immerhin bis zu einem op. 15 vorangetriebenen Korpus von Maria Herz. Gedruckt zu Lebzeiten sind lediglich einige Klavierlieder: 1910, in der ersten Englandzeit, „La fileuse“ und zwei Sammlungen, beide genannt „Two Songs“, bei Stainer & Bell, dem Londoner Verlag, in dem auch ihr englischer Kompositionslehrer Arthur Edward Grimshaw publizierte. 1927 erscheint im Katalog von Simrock Berlin die für Streichquartett bearbeitete Violin-Chaconne aus Bachs d-Moll Partita BWV 1004, die sich zu einem der meistgespielten Werke entwickeln sollte und den Namen Maria Herz, dank des Einsatzes des Kölner Prisca-Quartetts und des Manzer-Quartetts, auch über Europa hinaus bekannt gemacht hat.

Als Näherung an Musikverständis, an Kompositionsweise und Kompositionsdenken von Maria Herz bleiben somit vorerst jene Überlegungen, die Adorno in seinem Rundfunkvortrag angestellt hat. Sie seien an dieser Stelle skizziert. Ausgangspunkt ist eine erweiterte Umfeldbestimmung, die den Horizont öffnet, über die Kölner Szene hinaus. „Maria Herz und Trude Rittmann haben bei Philipp Jarnach studiert, dem Freunde Busonis, der recht eigentlich heute die Forderungen der Busonischen Ästhetik in der Praxis vertritt. Das Material, mit dem die Kleine Rundfunkmusik und die [Kleine] Kammersuite [für Koloratursopran und Kammerorchester] rechnen, ist das gleiche. Nämlich eine Art von erweiterter Tonalität.“ (Bd. 18, Gesammelte Schriften, S. 558) Was in op. 9, was in der Rundfunkmusik geschieht, lasse sich, so Adorno, auf die „geistige Haltung“ der Busonischule beziehen. „Es ist bekannt, dass in der Musik Busoni als einer der ersten Kritik an der Romantik übte und ihr gegenüber Forderungen einer Spielkunst aufstellte, wie sie heute als neue Sachlichkeit längst zur Phrase entwertet sind.“ (559) Den Ausdruck „Spiel“ will Adorno nicht verstanden wissen im Sinne eines jugendbewegten Gemeinschaftsmusizierens, sondern im dem von „Maskenspiel: unverbindlich, unreal und voll des Bewußtseins der eigenen Unrealisierbarkeit“. Wenn Busoni, so Adorno, gegen die Romantik vorgegangen sei, dann bei immer noch romantischer Haltung, was an seinem Argumentationshelfer Nietzsche nur allzu deutlich werde. „Etwas von diesem romantischen Geiste der Unromantik ist auch den Kompositionen von Jarnach selbst wie von seinen beiden Schülerinnen eigen und macht gerade ihr besonderes Wesen aus.“ Als Beleg verweist Adorno auf die „liedhaften Mittelsätze der Herzschen Kompositionen, zumal der dritte, ein Intermezzo fast im Brahmsischen Sinne, [ist] der romantischen Sphäre zugehörig. Zugleich aber schon von ihr distanziert“. Und resümierend: „Es sind beides Spielmusiken in jenem Busonischen Sinne; nicht Spiele einer musikantisch-naturwüchsigen Gemeinschaft, sondern Spiele einzelner, die mit Scherz und Maske in eine Form-Welt sich begeben, deren Form-Macht sie doch nicht mehr unterstehen.“ (560)

Lässt sich, was Adorno abschließend über Busoni bemerkt – „in aller Produktion auf der Grenzscheide der Romantik“ – auch auf die Jarnach-Schülerin Maria Herz beziehen? Wenn ja, ergäbe sich janusköpfige Gleichzeitigkeit des Blickes nach vorn, weg von der Romantik, und genauso zurück auf die Romantik. Im Programmblatt zur Uraufführung der Vier kurzen Orchesterstücke op. 8 durch das Kölner Gürzenich-Orchester unter Hermann Abendroth am 15.10.1929 findet Herbert Eimert diese Worte: „Neuzeitliche Haltung und feine Sicherheit im persönlichen Ausdruck. Als wesentlicher Charakterzug ihrer Werke zeigt sich eine allem äußeren Glanze abholde, aufs Geistige gerichtete Klarheit des Empfindens, aus der die Bevorzugung kammermusikalischer Mittel, die Durchsichtigkeit der Form und eine bisweilen zum Asketischen neigende Klanggebärde entspringen.“
Georg Beck

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